Neuedition der Bauberichte von Didyma
DAI Di Luftbild 2015, Fo-Nr. IMG_7751 (Erhan Küçük)
Die Bauberichte von Didyma an der kleinasiatischen Westküste, die aus dem 3. und 2. Jh. v. Chr. stammen, informieren über den Baufortschritt bei der Errichtung des hellenistischen Apollontempels. Das Forschungsprojekt umfasst die Neuedition und -kommentierung der griechischen Texte. Darauf aufbauend sollen die Architektur des Tempels und die historischen Umstände seiner Erbauung erschlossen werden.
Gut ein halbes Jahrtausend lang, zwischen ca. 300 v.Chr. und ca. 200 n.Chr., wurde für den Gott Apollon im kleinasiatischen Orakelheiligtum von Didyma ein monumentaler Tempel errichtet. Allein schon aufgrund seiner monumentalen Größe gehört er zu den bedeutendsten Tempeln der griechischen Welt. Darüber hinaus ist es sein außergewöhnlicher Entwurf, der ihn zu einem der wichtigsten griechischen Sakralbauten der antiken Bauforschung macht. Schließlich haben wir es bei diesem Bau nicht mit der herkömmlichen Art eines griechischen Tempels zu tun, denn seine Cella hatte kein Dach, so dass sich hinter dem doppelten Kranz von 120 Säulen ein großer offener Innenhof verbarg, dessen Bodenniveau zudem vier Meter tiefer liegt als das der um sieben Krepisstufen erhöhten Peristasis. In diesem Hof, den in der Regel nur die Priester und die für das Orakel zuständigen Propheten betreten durften und der somit das Kultzentrum bildete, stand ein zweiter als Naiskos bezeichneter kleiner Tempel, der eigentliche Kultbau. Von der Bausubstanz des monumentalen Tempels ist viel erhalten geblieben, weshalb wir uns eine gute Vorstellung davon machen können, wie er einst ausgesehen, wie man ihn erbaut hat und welchen Schwierigkeiten die Architekten begegnet sind.
Es ist ein besonderer Glücksfall, dass sich die Verwaltung des Heiligtums gegen 230 v.Chr. entschloss, jährliche Berichte über den Baufortschritt zu publizieren und dies als Inschriften, die man in große Steinstelen eingemeißelt hat. Diese Bauberichte, bis etwa 100 v.Chr. verfasst wurden, sollten die Besucher des Heiligtums und die Bürger der benachbarten Stadt Milet, die die Aufsicht über das Heiligtum hatten, über die Bauvorgänge informieren. Erfreulicherweise ist eine ganze Reihe von diesen Bauberichten nahezu vollständig oder fragmentarisch erhalten geblieben. Auch in den letzten Jahren wurden bei den vom Deutschen Archäologischen Institut durchgeführten Grabungen in Didyma weitere zugehörige Inschriften gefunden.
Das interdisziplinär angelegte Forschungsprojekt soll sich dem Material von zwei Seiten annähern. Auf der einen Seite soll eine neue Textausgabe aller Inschriften erstellt werden, die nicht nur die vor über 100 Jahren gefundenen, sondern auch die erst in jüngerer Zeit entdeckten Texte umfasst. Die Inschriften sollen übersetzt und kommentiert werden. Auf der anderen Seite gilt es, auf Basis dieser Texte die Baugeschichte des Tempels zumindest innerhalb des inschriftlich dokumentierten Zeitraumes nachzuvollziehen und den Bauablauf zu rekonstruieren, wobei die Texte im Hinblick auf Bauvorgänge und angewandte Bautechniken eine Fülle von Erkenntnissen versprechen, die auch übergreifend für die antike Bauforschung von großer Relevanz sind.
In viele Bereiche der antiken Lebens- und Arbeitswelt gewähren die Inschriftentexte und Bauglieder Einblick. Wir können erschließen, wie einzelne Arbeitsprozesse abliefen, z. B. wie schnell gearbeitet wurde, wer auf der Baustelle tätig war und wie man die Arbeiten organisiert hat. Schließlich erhalten wir auch Einblick, welche historischen Ereignisse die Bauvorgänge begleiteten oder beeinflussten: So haben politische Krisen, Kriege und Phasen wirtschaftlicher Prosperität oder Depression gleichsam ihre Spuren am Bau und in dessen antiker Dokumentation hinterlassen. Ziel des Projektes ist es, einen der faszinierendsten antiken Tempel und dessen historische Einbettung auf der Grundlage einer interdisziplinär verzahnten Untersuchung der Bauurkunden und des Baubefundes auf verschiedenen Ebenen neu zu erschließen.
Baubericht aus Didyma, um 170 v.Chr., Grabungshaus Didyma, Inv. E 245 (Sebastian Prignitz)
Projektleitung Wien
Dr. Sebastian Prignitz
Projektleitung Halle
Prof. Dr. Helga Bumke, Universität Halle
Kooperationen
Prof. Dr. Elgin von Gaisberg, TU Berlin
Prof. Dr. Thekla Schulz-Brize, TU Berlin
Prof. Dr. Mustafa H. Sayar, Universität Istanbul
Dr. Wolfgang Günther, München
Prof. Dr. Lothar Haselberger, University of Pennsylvania
Mitarbeiter
Dr. Helmut Lotz (Wien)
Dr.-Ing. Konstantin Wächter (Halle)
Laufzeit
01/2021-12/2022
Finanzierung
FWF-Projekt I 4878-G (DACH-Programm)
DFG